Menschen mit höherer Bildung leben im Durchschnitt länger. Wenn Pensionsreformen das nicht berücksichtigen, können sie Ungerechtigkeiten vergrößern, so Modellberechnungen von TU Wien und Österreichischer Akademie der Wissenschaften.
(crimson/czaak) Das Pensionssystem muss reformiert werden, um langfristig finanzierbar zu bleiben – und dafür gibt es eine Reihe von Möglichkeiten. Das Pensionsantrittsalter kann erhöht oder Pensionen gekürzt werden, Privatpensionen können gefördert werden und vieles mehr. Doch nicht jede Pensionsreform wäre im selben Maß honest, denn unterschiedliche Bevölkerungsgruppen werden auf unterschiedliche Weise getroffen. Menschen mit guter Ausbildung steigen (teilweise viel) später ins Berufsleben ein, zahlen somit bis zur Pensionierung weniger lange ins Pensionssystem ein, haben danach aber eine höhere Lebenserwartung, wie die Statistik zeigt.
An der TU Wien und dem Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wurde nun ein mathematisches Modell entwickelt und an die historischen Gegebenheiten in Österreich angepasst. Wird damit untersucht, wie sich unterschiedliche Pensionsreformen auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auswirken würden, dann zeigt sich: Schlecht gemachte Pensionsreformen können bestehende Ungleichheiten in der Bevölkerung sogar noch vergrößern. Die Ergebnisse wurden im „Journal of Pension Economics and Finance“ publiziert. Entscheidende Erkenntnisse dieser Arbeit fließen bereits ins Langfristmodell des die Politik beratenden Fiskalrats ein.
Bemerkenswert gute Erklärung der Vergangenheit
Hoch gebildete Menschen verdienen im Durchschnitt besser und leben auch länger. Somit ergibt sich durch das Pensionssystem eine Umverteilung von unten nach oben, weil wohlhabendere Schichten länger Pension kassieren. „Unser Modell berücksichtigt diese Unterschiede zwischen Bildung, Einkommen, Lebenserwartung und Vermögen und erklärt diese als Kombination individueller Entscheidungen und externer Umstände“ sagt Alexia Fürnkranz-Prskawetz, Leiterin des Forschungsbereichs Ökonomie am Institut für Stochastik und Wirtschaftsmathematik an der TU Wien.
„Damit lässt sich klar zeigen, dass niedrigere Bildungsgruppen ein geringeres Einkommen, geringeres Vermögen und niedrigere Lebenserwartung haben“, unterstreicht Fürnkranz-Prskawetz. „Bildungs- oder Pensionsreformen haben natürlich auch immer eine Auswirkung auf die Entscheidungen der Menschen“, sagt Miguel Sanchez-Romero von TU Wien bzw. ÖAW. „So werden etwa in einer Gesellschaft, wo sich Bildung für das Individuum besonders lohnt, die Menschen versuchen, möglichst viel in Bildung zu investieren. Das blieb bisher oft unberücksichtigt und mit unserem Modell lässt sich das nun abbilden“, so Sanchez-Romero.
Modell von TU Wien und ÖAW funktioniere
Es ist nun möglich historische Daten über Bildung, das Pensionssystem und Lebenserwartung zu analysieren und zu untersuchen, ob das Rechenmodell die Vergangenheit korrekt nachbildet. „Mit unserer Einteilung der Bevölkerung in unterschiedliche Kohorten, die in unterschiedlichem Maß vom Bildungssystem profitieren, können wir den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Daten aus den letzten 120 Jahren sehr intestine erklären. Das inkludiert die Entwicklung des Bildungsniveaus, des Einkommens und des Verhältnisses von Einzahlungen und Bezügen aus dem Pensionssystem“, erläutert Fürnkranz-Prskawetz.
Foundation für das neue Modell sind historische demographische Daten sowie historische Entwicklungen des Pensionssystems in Österreich. Damit können die historischen ökonomischen Daten ausgezeichnet reproduziert werden – und das macht Mut, dass „dieses Modell auch einen zuverlässigen Blick in die Zukunft ermöglicht“, so die Forscher.
Möglicherweise mehr Schaden als Nutzen
Aktuell wurde nun für sechs unterschiedliche Pensionsreformen berechnet, wie sich Änderungen am Pensionssystem auf die unterschiedlichen Kohorten auswirken würden. „Manche Pensionsreformen würden zwar dem Staatsbudget helfen, aber der Gerechtigkeit schaden“, sagt Miguel Sanchez-Romero. So würde etwa das bloße uniforme nach hinten Verschieben des Pensionsantrittsalters dazu führen, dass „gerade bildungsfernere Schichten, die schon jetzt für jeden ins Pensionssystem eingezahlten Euro weniger herausbekommen als die höhere Bildungsschicht, noch schlechter dastehen würden“, unterstreicht Sanchez-Romero.
Pensionsreformen hingegen, die zusätzlich auch die Unterschiede in der Lebenserwartung berücksichtigen, können nicht nur die Pensionskosten reduzieren, sondern auch bestehenden Ungleichheiten entgegenwirken. „Wie man damit umgeht ist eine politische Frage, für die es natürlich keine klare mathematische Antwort gibt“, sagt Alexia Fürnkranz-Prskawetz. „Alles, was wir sagen können, ist: Unterschiedliche Gruppen werden unterschiedlich getroffen, und das muss man berücksichtigen. Es geht schließlich nicht nur um das Sanieren des Budgets, sondern es geht auch um Equity.“