Seit einem Jahr wird das größte Gericht des Landes, das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), interimistisch geleitet. Der frühere Präsident Harald Perl trat mit 1. Dezember 2022 die Pension an, seitdem führt Vizepräsident Michael Sachs vorübergehend das Gericht. Eine Liste der geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten liegt seit Monaten vor. ÖVP und Grüne konnten sich aber auf eine Nachfolge bisher nicht einigen.
Das Tauziehen um den Posten hatte schon Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu mahnenden Worten hinreißen lassen. Die Richtervereinigung und zahlreiche NGOs üben seit Monaten scharfe Kritik an der Regierung. Selbst Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) bezeichnete die ausständige Besetzung als einen „auf Dauer nicht haltbaren Zustand“.
Gemäß Gesetz ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag der Regierung das Präsidium des Gerichts. Der Regierung liegt bereits ein Kommissionsgutachten mit fachlich qualifizierten Kandidaten vor. Doch man habe sich bisher nicht auf einen Nachfolger bzw. eine Nachfolgerin einigen können, wie Kogler in einer aktuellen Anfragebeantwortung an NEOS-Mandatarin Stephanie Krisper mitteilte.
Justizministerin lehnte sich weit hinaus
Lange Zeit galt die frühere Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, als Favoritin für den Posten. Sie ging in der Kommissionsbewertung als Erstgereihte hervor. Zuletzt machten aber unbestätigte Gerüchte die Runde, dass sich die Regierung auf Christian Filzwieser, den Drittgereihten, geeinigt hätte. Seit 2022 ist er Gruppenleiter im Innenministerium, zuvor struggle er Kammervorsitzender (Fremdenwesen und Asyl) am BVwG.
Das wäre insofern überraschend, als sich Justizministerin Alma Zadic (Grüne) bereits im Oktober 2022 dafür ausgesprochen hatte, „dass der oder die Erstgereihte nominiert werden soll“. In einer aktuellen Anfragebeantwortung ging sie auf die Frage, ob sie bei dieser Place bleibt, nicht ein, sondern verwies darauf, dass Vizekanzler Kogler für die Besetzung zuständig sei.
Dieser wiederum gab an, dass das Gutachten der Kommission „lediglich als Empfehlung zu verstehen“ sei. Die Regierung könne dem Bundespräsidenten auch andere Vorschläge unterbreiten, bedeutet: Sie muss sich nicht an die Reihung der Fachkommission, die sich aus den Präsidenten der Höchstgerichte und aus Vertreterinnen und Vertretern der Ministerien und der Wissenschaft zusammensetzt, halten.
„Grober Missstand in unserer Republik“
Lange Zeit wurde der Regierung vorgeworfen, sie würde die Entscheidung über die BVwG-Spitze mit jener über die Leitung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) junktimieren. Nach langem Ringen und Gutachtenzwist zwischen den Grünen und ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher einigte sich die Regierung vor Kurzem auf Vizechefin Natalie Harsdorf-Borsch als neue BWB-Chefin.
Aus der Bewerbung ging die von den Grünen präferierte Harsdorf-Borsch jedoch als Zweitgereihte hervor. Sie lag einen Punkt hinter BvWG-Vizepräsident Sachs, auf dem Kocher beharrte. Vor der BWB-Besetzung hatte ein File über Sachs für Gesprächsstoff gesorgt. In dem Dokument wurden Sachs „grobe Fehlleistungen“ zur Final gelegt. Das Justizministerium prüft die Vorwürfe.
In der ganzen Causa kommt noch ein weiterer Aspekt dazu: Laut den publik gewordenen Sidelettern hat die ÖVP ein „Nominierungsrecht“ für das Präsidentenamt beim BVwG. Vizekanzler Kogler sagte im Sommer, man habe dem Koalitionspartner „vor Monaten“ den entsprechenden Ministerratsvortrag übermittelt. Zuvor hatten die Präsidenten der vier Oberlandesgerichte (OLG) scharfe Kritik an dem „groben Missstand in unserer Republik“ geübt.
Asylkoordination: Regierung handelt gesetzeswidrig
Wegen des Stillstands bei der Postenbesetzung warf die asylkoordination österreich der Regierung Gesetzesbruch vor. „Es liegt alles auf dem Tisch: Die hochkarätig besetzte Kommission hat schon längst ihre Arbeit erledigt und Vorschläge erstattet“, sagte der Sprecher der NGO, Lukas Gahleitner-Gertz, der auf die Rolle des BVwG bei Asylverfahren hinwies.